Akzeptanz des Gartendenkmals

Der Alte Botanische Garten Marburg ist ein ausgewiesenes Kulturdenkmal im Bundesland Hessen. Durch gutachterliche und planerische Bearbeitung werden Vorschläge erstellt, die der Bewahrung bzw. Regeneration und Pflege des Alten Botanischen Gartens dienen. Vorrangig ist die Erhaltung der erlesenen Bäume und Sträucher in allen Altersstufen (Aktueller Bestandsplan mit Gehölzliste von 1998).

Der Alte Botanische Garten wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem Apotheker, Mediziner und Botaniker Professor Wenderoth nach einem gartenkünstlerischen Plan angelegt. Wegen der Popularität des englischen Landschaftsgartens, seit 1763 in Hessen eingeführt, konnte sich Wenderoth der Gartenrevolution nicht entziehen. So entstand ein Botanischer Garten nach englischem Strickmuster, mit weitgehend geschwungenen Wegen und Beeten.1 Für Wenderoth konnte ein Botanischer Garten jedoch kein Englischer Park sein, für einen Botanischen Garten hatte nach wie vor das Wissenschaftliche Vorrang, z.B. die systematische Einteilung.2

50 Jahre später ließ der Marburger Botaniker und Pharmakognostiker Professor Wigand den Garten im Stil der Lenné-Meyerschen Schule umgestalten. Es erfolgte eine Neuordnung der Systematischen Abteilung und die Einführung von Pflanzengeographischen Zonen. Zahlreiche Bäume der Wenderoth-Zeit wurden durch Umpflanzung soweit wie möglich erhalten. Wigand hat sie in seinem Plan von 1867 mit Nummern gekennzeichnet.3 Wigand wußte demnach um die Schutzwürdigkeit alter Bäume bei allen notwendigen Änderungen für die Modernisierung des Wissenschaftsgartens. Im Bezug auf den Baumschutz ist bereits Wigand als Gartendenkmalpfleger tätig gewesen. Ihm verdanken wir den heutigen Altbestand. Die Präsentation alter Bäume hat in Marburg also eine lange Tradition, der wir folgen sollten, indem wir die Altbäume so lange wie möglich erhalten. Sobald die Natur durch biologischen Tod die Altersgrenze setzt, gilt es für uns, die Verluste durch Nachkommen zu ersetzen, wenn möglich durch wurzelechte Sprosse. Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Wigandsche Garten Bestand.4 Erst das 20. Jahrhundert brachte einschneidende Veränderungen. Eingriffe, wie z.B. Wegebegradigungen, Asphaltbeläge oder das "Große System", führten nach dem 2. Weltkrieg in bestimmten Gartenbereichen zu deutlichen Abweichungen vom historischen Leitzustand, den wir im Wigand-Plan ablesen können.5

Die Aufgabe des Parkpflegewerkes besteht demnach darin, den Garten soweit wie möglich in seinen überkommenen historischen Strukturen zu erhalten. Letzte Spuren der Vergangenheit sind zu sichern, damit die Originalität der Anlage fortbestehen kann. Historische Gartenanlagen unterliegen ständig der Gefahr einer Überformung durch "zeitgemäße Nutzungsansprüche". Wäre dies die Richtschnur, wäre der Garten bald unwiderbringlich verloren. Die Gartendenkmalpflege ist hier gefordert, angemessene Lösungen zu erarbeiten, die der Substanzerhaltung dienen. Sinn und Zweck eines Parkpflegewerkes ist es aber auch, dem historischen Garten eine Perspektive für die Zukunft zu geben. Durch die Verlagerung der Systembeete in den Neuen Botanischen Garten kann man nicht gleich von einer Aufgabe sprechen, lediglich ein Aspekt verschwand. Kräuterbeete, Staudenbeete und Rosen sind heute nicht mehr bestimmend. Nach der Ausräumung stellt sich der Alte Garten viel stärker als früher als ein Botanischer Park für Erholungssuchende dar. Der Teich, die alten Laub- und Nadelbäume, Ziersträucher aus aller Welt und ausgedehnte Wiesenareale mit z.T. prächtigen Frühjahrsblühern prägen das heutige Erscheinungsbild. Durch das Vorhandensein von über 300 Großgehölzen ist der Alte Garten ein Schaugarten des Pflanzenreiches geblieben. Bäume und Sträucher liefern wichtiges Anschauungsmaterial für Forschung und Lehre. Somit ergänzen sich beide Gärten vortrefflich.

Neben der Beibehaltung historischer Baum- und Strauchpflanzungen an ihren angestammten Standorten (Pinetum, Geographische Abteilung, Arboretum, Farnquartier) zählt die Bewahrung der räumlichen Gliederung. Es gelten hierbei allgemeine landschaftsarchitektonische Regeln. Das Verhältnis dichter Gehölzpartien und freier Wiesenflächen sollte ausgewogen sein. Historische Verdichtungszonen als Schutzgürtel befinden sich besonders im Randbereich am Pilgrimstein, die Seite der Marburger Brauerei ist leider lückenhaft und wäre aufzupflanzen. Sichtbeziehungen steigern die Erlebbarkeit des Gartens und sind entsprechend freizustellen. Erst durch das Verbergen und Öffnen des Raumes, etwa durch Vorpflanzungen, wird der Rundgang durch den Park abwechslungsreich. Die Herausstellung harmonischer Wegeschwünge ist wünschenswert, Baumwurzeln dürfen jedoch keinen Schaden davon tragen. Ebenso erhaltenswert ist das landschaftliche Gelände. Höhen und Tiefen bilden das Relief. An tiefster Stelle liegt der natürliche Teich im Parkzentrum. Dem Garten eingefügt sind mehrere Baudenkmäler. Sämtliche Parkbauten sind zu erhalten und ggf. freizustellen (Institut, Brücke, Unterstand, Pumpenhäuschen, Gästehaus, ehem. Direktorenhaus).

Der Alte Botanische Garten ist nicht nur aus gartenkünstlerischer Sicht erhaltenswert. Reich bestückt mit dendrologischen Raritäten, sind zahlreiche Bäume für die Arzneimittelkunde unentbehrlich. Städtebaulich ist der Garten inzwischen die wichtigste Grünlunge von Marburg. Der Garten gewährt Rückzug und Entspannung. Im Schatten der Bäume liegt erholsame Ruhe. In ökologischer Hinsicht bieten alte Baumkronen, Totholz und Gebüsch zahlreichen Tieren, Vögeln und Insekten Lebensraum. Naturbelassene Gewässer stellen Brutreviere für Wasservögel, Libellen u.a. Kleinsänger bereit.

Die 3,6 ha große Anlage am Pilgrimstein befindet sich seit 1810 im Besitz der Philipps-Universität Marburg. Einst als reiner Wissenschaftsgarten für die Alma Mater angelegt, ist der Alte Botanische Garten auch 25 Jahre nach Eröffnung des Neuen Botanischen Gartens für Lehre und Forschung unentbehrlich. Wo sonst in Marburg können die Studenten derart erlesene Altbäume studieren?

Denkmalpflegerische Konzepte werden auf der Grundlage der verfügbaren historischen Dokumente und des vorhandenen Bestandes aufgestellt. Unsere Vorschläge werden in Form einer vorausschauenden Planung erarbeitet. Sie dienen für die Beständigkeit des Gartendenkmals in mehrfacher Hinsicht:

als Gartenkunstwerk

als Gehölzsammlung

als Wissenschaftsgarten

und als Erholungspark

eingebettet in das Stadtgefüge der Universitätsstadt Marburg.